„Die Kunst der Zumutung“

Wolfram Hasch über den Dichter und Dramatiker Paul M Waschkau

 

Ob auf Zelluloid oder auf  Magnetbändern, aus Nylon oder Amphetamin, Stoff gibt es in allen möglichen Formen. Doch der Stoff, aus dem das Denken und evtl. die Künste gewoben wer­den, verbleibt im Gegensatz zu Polyester und Kokain stets in labyrinthischen Fasern: oft un­durchschaubar, chaotisch, assoziativ und po­tentiell unendlich. Während der Rausch immer dann aufhört, wenn er sich verzehrt hat und sein Stoff aufgebraucht ist, beendet sich das kreative Denken nicht dadurch, daß sein Kick vorüber, seine Wirkung verbraucht ist, sondern dann, wenn es in der Folge seiner sich im schöpferi­schen Prozess einstellenden Richtun­gen etwas neues entdeckt und weiterentwickelt hat.

Eines dieser ausfasernden und vom Künstler strukturierten Stoffe ist der literarische Text, seine Fasern sind die Ideen und ihre Meta­phern. Die Schreibmaschine  - wie das Gehirn und seine assoziierende Tätigkeit - ist dabei ver­gleichbar mit einem Webstuhl, auf dem der Stoff des Geistes und der seiner - im literari­schen Text Gestalt annehmenden - Phantasien gesponnen wird.

Der Dichter Paul M Waschkau hat sich dieses Webstuhls nunmehr seit knapp zwanzig Jahren bemächtigt. Zwischen Weltreisen nach Helgo­land, Buenos Aires und Berlin-Marzahn, die für ihn selten zweiwöchige Ferien vom Wort  oder  Reisen des Dichters auf Montage gewe­sen sind, sondern vielmehr die monatelange sinnenhafte Auslieferung an eine andere Um­gebung, die man unter keiner dichterischen Absicht auszu­beuten gedenkt, hat Paul M Waschkau sich in den sporadischen Schüben von Reflexion und Inspiration an den Webstuhl der Literatur bege­ben: entstanden sind während dieser Arbeits­zeiten sein romantisches Frag­ment „archan­gelsk/träume aus titan“ (Galrev Berlin 1999), mehrere Theaterstücke und eine Reihe von Textheften.

Waschkau jedoch verweilt nicht bei der Wei­terleitung seiner Worte an die dafür zuständi­gen Kolportanten. Er selbst zählt häufig zu den Hauptdarstellern in seinen geschriebenen und später inszenierten Stücken, die, ganz im Sinne einer zerfallenden, zerhackten Zeit oft Bruch-Stücke sind.

Damit gehört Waschkau zu jenen etwas selte­neren Dichtern, die neben dem Schreiben von Stücken auch an deren Aufführung darstellend beteiligt sind und damit nicht nur gute Schau­spieler sind, wenn man sich mit ihnen unterhält, sondern möglichst auch auf der Bühne, wenn sie auf der Ebene der Kunst andere unterhalten wollen.

Doch „Unterhaltung“ scheint mir für den Sinn & Zweck bestimmter Künste eine schlechte Motivation zu sein: Zumutung trifft es da schon besser und zwar - ähnlich wie die Strategien der Ent-Täuschung - in einem gänzlich  guten Sinn. Das Publikum mit Ungewohntem oder einem unerträglich übertriebenem Maß an Ge­wohn­tem, mit Verschärfungen dessen, was ist, zu konfrontieren, ist der Zweck einer Kunst der Zumutungen, die aus dem Mut zur Zuspit­zung und Zereissung nicht zuletzt aber auch aus dem Mut zur Stille hervorgeht. Während Unterhal­tung, statt den Zuschauer in vehe­mente Span­nung oder einen Exzess übertriebe­ner Lang­weiligkeit zu versetzen, nurmehr für dessen Ent-Spannung  sorgt und  damit den möglichst reibungslosen Verdauungsprozess des Realen fördert.

 

Paul M Waschkau gehört zu denen, die dem Publikum trotz literarischer Loveparaden und dem Schall und Rauch grassierender Friedens­pfeifen weiterhin das Unzumutbare zuzumuten gedenken. Als Berliner Dichter-Fossil, dessen Spitzen und Kanten von den Brandungen des Meeres wohl mit den Jahren etwas abgeschlif­fen werden oder vielleicht auch schon ein we­nig abgeschliffen sind, weiß er sich auf die ver­ändernden Bedingungen in den Tiefenge­wäs­sern von Literatur und Theater einzustellen und  gewinnt die Aufmerksamkeit des Publi­kums nun manchmal auch ohne jene Spitzen, die er z.B. noch mit seiner Performance-Gruppe „Die Gezackten“ (1991) so messer­scharf  ins Publi­kum stieß.

Und während zahlreiche seiner früheren schrei­benden Mitarbeiter entweder physisch (Qrt, Gramberg, Weyrich)1 oder meta-physisch (Ven­nen, Hasch) nicht mehr zu den Lebenden gehö­ren, bleibt Paul M Waschkau jene spora­disch aufblitzende Dauererscheinung der Ber­liner Poesie- und Theaterperipherie, die z.B. mona­telang in den vegetativen Zuckungen von Montevideo-City schweigt und plötzlich hell­wach mit einer Lesung oder szenischen Dar­stellung in Berlin-Friedrichshain im bizarren Dämmerlicht des Undergrounds wieder auf­taucht.

 

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Der Beitrag von Hasch erschien erstmals 2003 im MATERIALHEFT zur URaufführung von paul m waschkau’s  Killer/Terrordrama  HYÄNENHERZ /TRAUM EINES KAMIKAZEFLIEGERS im ORPHTHEATER BERLIN und war von 2003-2008 publiziert auf der Text- & Theoriesite  www.Lucid-Zoom.de.

 

Wolfram Hasch  war Mitglied der  Performance-Gruppe „Die Gezackten“, war/ist Hrsg. der Magazine >STALKER & dEffekte.

 

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1Jörg Reverend Weyrich, Künstler, beging im Oktober 1989 Selbstmord durch Erhängen.

Kurt Leimer alias Qrt,  Theoretiker, starb 1995 an einer Überdosis spezieller Drogen.

Enno P. Gramberg, Deutschlands größter Dichter, starb im Januar 2000 an den Folgen eine Leberzirrhose.

 

Alle Drei waren zw. 1988-91 periphere Mitarbeiter de von pmwaschkau herausgegebenen Zeitschrift für Notwehr und Philosophie MINERVA.

 

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