Eingeschlossen in die Zeit In den Augenblick In das Pochen Des
Blutes
NACHTFLUG INVASOR presents
#
1.
PAUL M Waschkau! Kommen wir gleich zur Sache! Wir haben in der Sendung „INVASOR kompakt“
am 4.0ktober im HerbstRadio bei mikroFM bereits ansatzweise über Deine
Künstlerische Arbeit und Präsenz in der Spielstätte theaterkapelle
Berlin/F’hain gesprochen. Vieles konnte nur angerissen werden, einiges ist auf
der Strecke geblieben. Trotzdem wollen wir heute auch über dich als Autor und
Dramatiker reden. Allerdings düsen wir im NACHTFLUG INVASOR durch die Zeit. Wie
ist es überhaupt zur Gründung von INVASOR gekommen? Und wie würdest INVASOR
kurz umschreiben.
Kurz
ist INVASOR eine aus Dichter/Autor- wie
Schauspieler/ Performer- & FilmemacherInnen bestehende offene KUNSTFORMATION mit Projektilformen aller Genres
unter meiner künstlerischen Leitung .
Gegründet 2006 im Berliner GARNTHEATER, wo ich zusammen mit Adolfo Assor
die erste aus nervösen Lesungen, performativen Textsezierungen und
experimentellen FILMnächten komponierte INVASORSerie
startete, die wöchentlich stattfand und immerhin 3 Monate andauerte. Dafür war
es ganz wunderbar, daß der aus Chile stammende Schauspieler und Regisseur
Adolfo Assor selbst mehrere Abende gestaltete.
Der Ursprung
liegt aber in Peru, wo ich im Jahre 2000 als aus Berlin stammender
Dichter/Dramatiker mit der textsezierenden Performance „En la noche del polo
norte“ ‚ IN DER NACHT DES NORDPOLS am Festival „terreno de experiencia no. uno“
( = Experimentierfeld Nr.1 ) in LIMA
teilnahm.
Die
junge Festivalsleitung wie ein INVASOR ein Museum besetzt und gab unter dem
Titel INVASOR alle 2 Tage eine als Kunstflugblatt gestaltete Zeitung heraus, in
der ua auch Teile meines Schauerfeldfragmentes DIE GALEERE DER KALTBLÜTER auf
spanisch erschien. Das war damals in der politischen ENDphase einer sehr
rigiden konservativen Fujimori_regierung in Peru nicht ganz ungefährlich, aber
Fujimori war schon auf der Flucht. Für die junge Kunstszene Perus war das ein
ganz neuer Anfang, etwas völlig Neuartiges und daher auch unglaublich gut
besucht.
Du hast also INVASOR über den
Atlantik transportiert, um die Idee wie den Titel in Berlin fortzuführen.
Exakt.
Mir gefiel diese auf dem INVASORfestival von LIMA fixierte Idee des invasorischen
EINFALLens in eine fremde Szene. Außerdem hatten die FLUGblätter markige
Sprüche auf Lager, die geradezu dazu aufforderten, sich nicht unterkriegen zu
lassen.
Mit welchen Parolen
haben die Menschen damals in Peru für einen neuen Anfang
– sowohl künstlerisch
als auch politisch – aufgerufen?
Si todo es possible
pidamos lo impossibile!
Wenn alles möglich ist -
verlangen wir das Unmögliche!
Wieso im GARNtheater mit Adolfo
Assor?
Adolfo
Assor gefiel natürlich der Titel.
INVASOR INVASOR. Das kommt aus seinem spanischem Sprachraum. Außerdem
brauchte sein etwas absackendes GARNtheater frisches Blut. Und schließlich
kannten wir uns schon seit den 90iger Jahren, als Adolfo Assor es wagte, mich
als ersten deutschsprachig lebenden Dramatiker in seinem GARNtheater mit der UA
von DIE GALEERE DER KALTBLÜTER vorzustellen. Das war für ihn ganz großes
Wagnis, obgleich dieses düster monologisch angelegte Schauerfeldfragment fast
wie für ihn geschrieben schien. Tatsächlich kannte ich zu dieser Zeit in Berlin
niemanden, der es hätte spielen können. Doch dann wurde DIE GALEERE DER
KALTBLÜTER 44 x gespielt, die ersten
20-30 Mal stets vor ausverkauftem Haus bzw. ausverkauftem Keller, diesem tiefen
tiefen Keller, in dem Adolfo Assor sein GARNtheater in Kreuzberg seit über 20
Jahren bespielt.
2.
In
der theaterkapelle hast du als Autor/Dramatiker wie als Theatermacher mit der
FORMATION INVASOR von 2007-2009 neben literarisch/performativen
Einzelveranstaltungen, der Performance.Installation SEVEN LOST SCENES (2008)
sowie dem ARTAUD.KONGRESS (2009) – auch 3 große mehrsprachige
TheaterInszenierungen zur URaufführung gebracht. Nun ist INVASOR allwöchentlich
mit einer wort- wie soundmäßig anspruchsvollen NACHTFLUGsendung im Herbst.Radio
auf 99,1 MHz° FM Berlin unterwegs? Wie kommt das?
Das erscheint
mir persönlich gar nicht zufällig, sondern fast zwangsläufig. Und beamt mich
zeitlich ins Jahr 1989 zurück, ins damals FREIE RADIO 100, wo meine erste mit
10 SprecherInnen dirigierte HörspielKompositionen DIE ENGE DER ZEIT IST DIE
WURZEL DES BÖSEN ausgestrahlt wurde. Eine äußerst komplexe Komposition mit
Textschnitten, Fragmenten, Cutups , Interviews zB mit Paul Virilio, Francois
Lyotard, Dietmar Kamper aus der von mir damals herausgegebenen Literatur- &
Philosophiezeitschrift MINERVA. Es hat aber wesentlich mit ANTONIN ARTAUD zu
tun, denn die von mir mit dem Musiker Wolfram Hasch arrangierte auf
ARTAUDtexturen basierende HörspielKomposition
DIE FRAGE STELLT SICH ... La question se pose... war 2006 in der Hörspielreihe des radio tesla zu Gast, den heutigen Machern
von mikroFM, die mich quasi eingeschleust haben.
Somit ist Artaud verantwortlich für
die RadioNACHTFLUGserie des INVASOR?
Absolut. Und gleichzeitig umreißt es die Komplexität der gänzlich offenen
KUNSTFORMATION INVASOR, denn wir sind hier im HerbstRadio ja 3 Monate mit hoch
artifiziellen HörspielKompositionen, poetischen Lesungen wie Pamphleten,
SoundLandschaften und experimentell arrangierten Disharmonischen Epidemien auf
Sendung, die man nicht einfach aus dem Stand produzieren kann.
INVASOR
ist also vielmehr als ein theatrales Ensemble?
Das theatralisch Dramatische ist nur ein Zweig, wenngleich auch ein von
hoher Intensität geprägter. Ansonsten aber ist INVASOR eine Art Künstlerischer
Überbau, unter dessen Dach allerdings nur ganz spezielle Ghostrider und
Psychopathen Platz haben, deren Werke wie GESCHOSSE IN DIE ZEIT daherkommen.
Das hat nicht nur der ARTAUD KONGRESS bewiesen, sondern auch die Beteiligung
des INVASOR an der Ausstellung DEPRESSIONISMUS & METROPLENIRRE. Eine
Ausstellung mit Nebenprogramm, die vom Künstler Schädelwaldt im BÜRO DER
DEPRESSIONISTEN kuratiert war. Aber
manchmal bin ich DER INVASOR ganz allein.
Das gäbe uns die
Möglichkeit, über dich als Autor zu sprechen, zumindest ansatzweise. Es gibt zwei Bücher von dir. Da ist zum
einen das 1999 erschienene romantische Fragment: „archangelsk/träume aus titan“
und der 2007 erschienene Roman EXIT.49.
Mich interessieren – im Groben - die
inhaltlichen wie konzeptionellen Verbindungsstränge deiner Romane/ Bücher/
Prosafragmente zum Dramatischen wie der Einfluss deiner
Reisen/Auslandsaufenthalte auf die literarische Arbeit.
Das
ist in der Tat ein weites Feld und womöglich muss ich selbst ein zwei – von
mehreren möglichen - Theorien entwerfen, um die Vernetzung des Ganzen zu
begreifen. Ich meine die Vernetzung von Leben und Schreiben, die Vernetzung von
Prosa & Poesie mit dramatischen Texturen, die Vernetzung von Theater und
Öffentlichkeit, die Vernetzung von Dichtung und Wahrheit. Also all die
Grundlagen und Vorraussetzungen, Bedingungen, der Antrieb und die Lust. Das Eingeschlossen sein in die Zeit, in den
Augenblick, in das Pochen des Blutes...
Mmmmmhhh.... Das ist mir zu theoretisch.
Also konkret.... in welchen deiner
Texte sieht man
den Einfluss deiner Reisen wie deiner
langen Auslandsaufenthalte mit Schwerpunkt Mexiko und Südamerika am besten?
Beide
Bücher, sowohl das romantische Fragment archangelsk/träume aus titan wie der EXIT.49_roman
umkreisen in großen Bewegungen das Reisen und sind von großen oftmals surrealen
Erinnerungspassagen an Landschaften Geschehnisse Menschen in fernen Ländern
geprägt. Dabei spielt neben Mexiko, was zumindest geographisch hauptsächlich zu
Nordamerika zählt, der Einfluss Südamerikas eine ungemeine Rolle. Ich bin dort
seit 1990 in regelmäßigen Abständen gewesen, weil die Menschen und die riesigen
menschenleeren Regionen mich dermaßen inspiriert, fasziniert und bezaubert
haben, daß sie fast zum Elixier meines Schreibens wurden, was ich in Berlin
sehr vermisse.
Das Reisen also als Bedingung deines
poetischen Schreibens?
Vielleicht
sogar meines künstlerischen Schaffens, weil es sowohl den Blick auf das
persönliche wie das Heimliche verschärft. Aber wichtig ist das alleinige
Unterwegssein. Mir reicht auch ein guter Lebensraum an einem fernen exotischen
Ort. Aber das muss man erst mal begreifen. Dann kann man die Situation benutzen
und wenn sie sich bietet, muss man zugreifen.
In
beiden Büchern gibt es wahnsinnige Reisepassagen Fieberträume Delirien über die
Altstadt von Montevideo, über mexikanische Wüsten und Patagonia, die allesamt
aus irren Bilden und Szenarien komponiert sind, die Traumbilder oder Filmbilder
sein könnten, auf jeden Fall aber poetisch verdichtet und der Wirklichkeit fast
immer entrückt...
Ganz anders im Roman EXIT.49,
der auch ein großer BERLINroman ist, in dem das Kreuzberger Kottbusser Tor und Szenebars wie die
Ankerklause, das Eschschloraque Rümpschrümp, der Würgeengel eine
wichtige Rolle spielen.
Zweifellos.
Da greift der Roman stilistisch als Roman, der im monologischen Umkreisen einer
männlichen Existenz auch auf das Lebensumfeld des Protagonisten eingeht. Ein
Lebensumfeld, das aus Berlinkreuzberg, Mitte, Marseille – aber eben auch aus
Erinnerungen an große SüdamerikaReisen besteht, die seine Existenz neben den
DINGEN DES LEBENS bestimmen.
4.
... die ich beim Lesen als paranoisch als
auch sehr anarchisch empfunden habe, ganz ähnlich deiner dramatischen EXIT.49_lesung
aus dem Jahre 2007 in der Volksbühne Berlin.
Deine meist als "Textsezierung"
definierten Lesungen , die du seit Mitte der 90er Jahre als literarischen
Pathos Transport zelebrierst, leben ja von einer speziellen inhärenten
Dramatik, was sicher auch DER Grund
dafür ist, daß du als – relativ unbekannter - Autor schon 3x zu Gast in der
Volksbühne warst, weil deine – pardon – Lesungen, schon weit über eine Lesung
hinaus gehen. Wer dich während einer Lesung sieht, kann auch den Eindruck
gewinnen, wie es in deinen Inszenierungen zugehen könnte, in der du in aller
Regel auch als Darsteller teilnimmst. Also ich meine diese Überspitzung des
Einfachen, die Übertreibungen und stimmlichen Veränderungen von Worten/Sätzen
in der Verfielfachung.
Die meisten Lesungen
sind bekanntlich ja wirklich langweilig. Eine Schande und eine Verhunzung eines
Aktes, der eigentlich Kunst sein könnte, der Kunst sein sollte, Vortragskunst jedenfalls.
Ich
tue es mir längst nicht mehr an, zu Lesungen von KollegInnen zu gehen, wo
AutorInnen lediglich ihr Buch vorstellen und oft selbst zu Beginn der Lesung
noch nicht wissen, was sie lesen werden, was dafür zeugt, daß sie vollkommen
unvorbereitet sind. Auch zu befreundeten Schriftstellern, die nicht lesen
können, gehe ich nicht mehr, das tut wirklich weh. Und darüber hinaus halte ich
diese Bemühungslosigkeit, das Abspulen von etwas, für eine Schweinerei dem
Publikum gegenüber. Für meine feinen Ohren sind das STRAFEN, die ich niemanden
mehr verzeihe. Man sollte solche AutorInnen bis zur Bewusstlosigkeit würgen,
sie sofort niederapplaudieren oder Ihnen Auftrittsverbote erteilen, weil sie
das Publikum im Grunde verarschen, weil sie das Publikum allein als Kaufmasse
bzw als Huldigungsgruppierung für Ihren EGOtrip verstehen.
Eine
Lesung kann ja etwas ganz außerordentliches sein und wenn es dann doch nur eine
Lesung ist, sollte sie wenigstens eine ausgezeichnete Lesung sein. Das ist das
allermindeste, was ich von einem Autor erwarte, der sich als Lesender
öffentlich präsentiert.
Was bedeutet in deinem Sinne
....TextSezierung?
Ich
benutze diesen Begriff als selbstgewählten, womöglich sogar selbsterfundenen,
ja schon seit Mitte der 90iger Jahre, weil ich die Bezeichnung
„Leseperformance“ für nicht zureichend halte. Ich begreife den VortragsText idR
nicht nur als Vorlesetext, sondern als offenen Körper, in dem auch
herumgestochert werden darf, um mittels einer dramatischen Überbietung von
Textschnitten eine ganz eigene Form auf dem Felde der Vortragskunst zu
schaffen. Die muss nicht zwingend nur
aus Hurischreien oder kreischender Überbietung
bestehen, nein - das ist stimmliche Dramatik in allen Facetten und
Ausuferungen.
5.
Okay . Lass
uns über deine Theaterarbeiten reden.
Da sind zum einen die drei großen
mehrsprachigen INVASORinszenierungen:
2007 > LA NOTTE nach
den Orphischen Gesängen/Canti Orfici des italienischen Dichters Dino Campana
2008 > DIE OZEANISCHE NACHT–ein poetisches Drama, für dessen Textur DU paul m
waschkau verantwortlich zeichnest
& 2009 > EGO.TRAUM.KRYPSIS.3 # re.act.artaud – frei nach Antonin Artaud.
Allesamt Inszenierungen voller Irrender und Wirrender Gestalten,
Traumlandschaften, einer unheimlichen Fülle an Poesie und poetischer... aber
auch zutiefst verstörender Bilder... Fragmente von Erzählungen, die sich in
schier surrealen ... eben nicht realistischen, die Realität abbildenden Bildern
manifestieren... sonder... schockieren, widersprechen, widerlegen... verführen.
Besonders in deiner letzten Inszenierung frei nach Artaud – EGO.TRAUM.KRYPSIS.3
# re.act Artaud stellst du mit einfachen und ebenso eindringlichen Mitteln,
Bilder und Bezüge zum aktuellen weltpolitischen Geschehen her, die in ihrer
Einfachheit UND Direktheit... und damit schon wieder in ihrer poetischen
Kraft... zum Schauern bringen...
Und dann sind da mehrere
Theaterstücke des Dramatikers paul m waschkau, dessen Uraufführungen in anderen
Theatern stattfanden, wenn ich zb an den 2003 im ORPHtheater uraufgeführten
Terror/KillerMonolog Hyänenherz/Traum eines Kamikazefliegers oder an das –
schon erwähnte - 1998 im GARNtheater uraufgeführte Schauerfeldfragment DIE
GALEERE DER KALTBLÜTER denke.
Ja. Ich fürchte, wir werden nicht über alles reden können. Obwohl ich
selbst stets den Eindruck habe, nur schleppend und mit wenigem voranzukommen,
türmt sich in einem 20 Jahre andauerndem Schaffenprozess doch einiges auf, über
das ich mich gelegentlich selbst wundere. Und dann grabe und wühle ich in
älteren Texturen und staune darüber, wie mir auf lange Zeit Unwichtiges,
Liegengelassenes, Scheinbar-auf-der- Strecke-Verendetes auf einmal wieder
wichtig wird und wie sich alles miteinander verzahnt.
Wie kommt es, daß trotz hoher sprachlicher
und dramatischer Qualität - krasser Titel und Themen doch sehr selten Stücke
vom vom Dramatiker paul m waschkau gespielt werden?
Nun.
Das ist eine ganz zweischneidige Frage, die grundsätzlich etwas mit der
öffentlichen Wahrnehmung zu tun hat, ich meine , wie man als Autor wahrgenommen
wird. Eine Wahrnehmung die natürlich immer nur bedingt ist, egal wie berühmt
oder unbekannt man ist, insofern man überhaupt öffentlich ist. Die immer von
Macht und Kulturströmungen durchsetzt ist, von Finanzen der Theater, von
Eingeschränktheiten Eingefahrenheiten Abgeschlossenheiten größerer Theater wie
Theaterverlage und den Engen entscheidender Köpfe, dieser Gesamtheitsjury aus
Lektoren, Regisseuren und Dramaturgen. Kurz gesagt: das komplette
Betriebssystem „Kultur und Theater“ wird von enormen Ausschlussfunktionen und
indirekter Unfreiheit beherrscht, von Ängsten und Konkurrenzkämpfen und nicht
zuletzt von Beziehungen und zwar in allen möglichen Konstellationen sowohl an
großen und kleinen Häusern. Und natürlich spielen auch Faulheiten, Fähigkeiten
wie Unfähigkeiten verbunden mit einem ganz offenen Entdeckungswillen eine
wahnsinnig wichtige Rolle, dafür, ob man einen Dramatiker präsentiert, der
nicht in die Schublade üblicher EinheitsDramatik passt.
Über den 2003 im ehemaligen ORPHtheater
uraufgeführten Killer/Terror_monolog Hyänenherz/Traum eines Kamikazefliegers in
der Regie von Hans-Weerner kroesinger gab es – nicht nur im Jubel – sondern
auch in der Analyse ganz hervorragende Kritiken.
Ja, das stimmt und zeigte auf
ausgezeichnete Weise, wie sehr auch das Publikum der OFFszene nach krassen
Themen giert, die natürlich auch beeindruckend umgesetzt werden müssen.
Überhaupt kann man im OFFbereich künstlerisch nur mit NEUEM AUSSERGEWÖHNLICHEM
EINZIGARTIGEM gewinnen, niemals aber mit Stücken von Nobelpreisträgerinnen,
Klassikern und dem fast zum Dauerbrenner avancierten Heiner Müller.
Das Dilemma
ist ja, dass die meisten im Zu Wenig aufhören und sich nicht um eine
verzweifelte Fortsetzung bemühen. Ja
nicht einmal bis an die eigene Grenzen gehen. Die letzte Nacktheit nicht anstreben.
Das Unmögliche NIE wagen. Vor dem Unmöglichen sogar Angst haben.
Aber gerade das Unmögliche muß nicht nur angekratzt werden sondern
gefordert. Sonst sollte man eigentlich einpacken.
Wir
präsentieren einfach mal die Kurzzusammenfassung des TerrorMonologes
„Hyänenherz“.
BRUTUS, ein in die Gegenwart hineingeschleuderter Toter der
Geschichte, ein mit der Poesie eines orphischen Dichters ummantelter Killer,
Blutpumpe des organisierten Mordes, bereitet sich auf seinen nächsten Auftrag
vor. Obwohl ihm die Lust am Töten längst vergangen ist, begreift er seinen Job
als eine Arbeit, die erledigt werden muss. In den stets einbrechenden
Erinnerungen an ferne Liebschaften, die ihm gleich poetischen Traumsequenzen
wie Visionen verpassten Glücks erscheinen, schält sich seine Sehnsucht nach
einem anderen Leben heraus. --- Wenn
seine Zeit gekommen ist, wird er aufblitzen.
Das
im Jahre 2000 in der Einöde einer Schöppinger Kunststiftung erschriebene Hyänenherz wie DIE GALEERE DER KALTBLÜTER
sind Stücke, die in ihrer poetischen Schaurigkeit und Dramatik nichts an
Aktualität eingebüßt haben, gerade weil sie von einer gewissen Zeitlosigkeit
beherrscht werden.
Hyänenherz könnte m.E an jedem Theater der Welt gespielt werden und würde sicher
überall verstanden, wo es Gesellschaftskonflikte gibt. Es ist trotz klug
gesetzter metaphorischer politischer Bezüge auch ein sehr poetischer Text.
Ja ja
. Dieser Killer, der seinen Job hasst, wie andere ihren Job hassen, ist ja fast
ein Dichter, der darüber hinaus Aussagen trifft, was Glück im Leben bedeutet
und wie man es erlangen könnte und da wird es dann in der Düsterkeit der Seele
auch sehr heiter.
Es soll sogar eine englische Version geben.
Ja, das stimmt.
Übersetzt von der neuseeländischen Übersetzerin Joy Titheridge, eine Version,
die ganz hervorragend sein soll, wie mir englischsprachige Kollegen versichert
haben.
Und
dann ist da dieser Satz... Diese Bemerkung des Killers...
die
wie eine Arbeits- & Lebensmaxime rüberkommt.
Welche?
Die Frage ist nicht wie weit man gehen will Die Frage ist, bin ich in der Lage soweit zu gehen wie man gehen muss.
Pardon.
Das muss man natürlich in sich zergehen lassen. Darauf muss man rumkauen.
Die
Frage ist
nicht
wie weit man gehen will
Die Frage ist,
bin ich in der Lage soweit zu
gehen
wie man gehen muss.
7.
Okay. Wir könnten jetzt natürlich ÜBER WOYCEKS IN NEUKÖLLN sprechen.
Über die Serie NEUE STÜCKE VOM RANDE DER WELT, die du am Schauspiel Neuköln 2006/2007 initiiert und geleitet hast. Aber kommen
wir zurück zu INVASOR. Was ist – aus deiner Sicht - das Besondere an der theatralen FORMATION INVASOR?
aber
grundsätzlich sehe ich...
Einen
Reichtum durch Mehrsprachigkeit
Eine
ungewöhnlich starke Sprache
aufgrund
wahnsinniger Poesien
Die
Stellung fremdsprachiger Schauspielerinnen
Der
Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen
Die
Auflösung von Nähe und Distanz im Atmosphärischen
einer
Aufführung
Der
Reichtum in der Armut
Die
Liebe zum Theater mittels des Widerspruchs zum Theater
Damit kann ich
eigentlich wenig anfangen. Oder die Antwort wäre ein so weites Feld, daß ich
von hier aus weder das Ende sehen, noch seine Verzweigungen in seiner Gänze
erfassen könnte. Im Grunde reden wir ja schon darüber, auch wenn dies immer nur
ein Bruchteil von allem sein kann. Und vielleicht ist das, was aufblitzt, gar
nicht das Wesentliche. Nun.
Gib es Regie-/Theaterstile, von denen du
dich ganz bewusst abgrenzen möchtest?
Nein. Und im übrigen weiß ich gar nichts über meinen Regiestil.
Bezeichne mich ja höchst ungern als Regisseur, spreche lieber von Inszenierungen,
weil ich mich eher als einer verstehe, der etwas In-Szene setzt, ähnlich der
Französischen „mise en scene“.
Bin einer, der im Probenprozess szenische Ansätze sammelt, sie in einer
Art konzentrischer Stauung ballt, um sie dann ausfließen zu lassen.
Das
hängt damit zusammen, daß ich die Kunst des Schauspielers, die unbedingt Kunst
sein muss, nicht nur schätze sondern
erwarte. Damit meine ich, daß sich der
Schauspieler für seine Rolle ein eigenes Ideenfeld entwickeln und erarbeiten
muss. Nichts ist im Arbeitsprozess langweiliger, als wenn am Ende eines oft
mehrwöchigen Probenprozesses ein Darsteller bis in die kleinste Bewegung hinein
nur das zeigt, was ihm der Regisseur vorschlug, weil vom Schauspieler nichts
kam, als die sklavische Zur-Verfügung-Stellung des Körpers oder der Stimme.
Wie
entsteht die Idee zu einer Inszenierung?
Oftmals sind es nur Sätze. Unglaubliche poetische Sätze.
So wie Anete Colacioppo in LA NOTTE – den Dichter Dino Cmapana
charakterisierend - kreischt:
Er schreibt Sätze. Er schreibt unglaubliche Sätze.
Und bei Dino Campana, diesem schrägen Italienischen Dichter, der im
übrigen
wie Artaud mehrere Jahre in eine IRRENanstalt eingesperrt war
und da erkennt man die zusammenhängenden Strömunungen meiner dichterischen
Welt...
Also in Dino Campanas ORPHISCHEN GESÄNGE kommt folgender Satz vor:
„In der Folter des Schlafs den gehärteten Körper enthüllen...“
„Nella tortura dell sogno scoprire il corpo vulcanizzato...“
Und um solch unglaublichen Satz baut sich bei mir eine ganze
Inszenierung auf. Ergänzt durch surreale Bildsätze wie...
„Der Liebhaber im
Halbschatten krallt am Gesicht der Geliebten sich fest, um ihren Traum zu
entfleischen.“
DAS SIND WAHNSINNIGE BILDER, große Gemälde, ganze Szenarien, die in den
Sätzen nicht nur des Dichters Dino Campanas stecken. Sätze, die einem , wenn
man sie einmal erfasst und gefressen hat, eine Welt offenbaren, die zumindest
mir wie ein Märchen erscheint, wie ein poetisches Märchen. Und überhaupt kommt es mir ja darauf an,
POESIE ins Theater zu transportieren. Orphische Dichtung, daher die als
ORPHISCHER ZYKLUS angekündigte Serie... postdramatischer Variationen.
8.
Und
bei Artaud?
Ja auch hier - Sätze. Sätze, die aber auf krasse Weise sehr oft und
eindringlich den politischen Körper umkreisen. Wie bei Artaud der Körper mit
all seinen Funktionen, Flüssigkeiten und Bezügen enorm wichtig ist für sein
komplettes Denken. Und der Satz, der in aller Knappheit, das menschliche
Schicksal festnagelt, ist jener, den wir in der Inszenierung von
EGO.TRAUM.KRYPSIS.3 benutzt haben.
>Die Wesen sind inmitten einer Schlacht geboren worden,
die sie niemals verstehen wollten,
die sie gehasst und beneidet haben und das ist alles.<
Genau. Aber dann ist da diese besondere Sache mit Artaud. Daß du mit ihm kompromisslos umgehen
kannst. Dass du dich nicht beschränken
musst. Daß du dich nicht darum kümmern, was auf der Bühne erlaubt ist und was
nicht erlaubt ist. Dass du BANALES BRACHIALES & SCHÖNES mit einander
verbinden kannst. Dass du am Ende nur aufpassen musst,
nicht zu sanft zu sein. Denn Artaud ist immer sehr hart gewesen – gegen sich
und gegen andere.
Aber die WIDERSTÄNDE, die ihm selbst heute noch - sogar an einem Ort
wie der theaterkapelle - entgegengebracht werden, sind unglaubliche
Widerstände, die ich eigentlich nicht begreife... Aber gerade das zeigt, daß ARTAUD noch immer ein Aufwühlender
ist, ein fremder Geist, der eine immense unterschwellig vorhandene Kritik gegen
alles Blasse, Eingefahrene, Gemütliche mit sich bringt, wogegen sich dann die,
die sich in ihrer Gemütlichkeit eingerichtet haben, alles, was sie noch an
Kraft haben, aufwenden, damit sie nicht gestört werden. Vor dem dann selbst
sich ach so kritisch Wähnende ANGST haben. Die Leute wehren sich gegen diese
Strömungen, die sie spüren lassen wie banal sie sich bewegen. Sie wehren sich
gegen Artaud und sie wehren gegen seine Freunde.
Selbst Heiner Müller schreibt, daß Artaud
der Ernstfall sei. Ernstfall der Literatur und des Theaters. Sprache des
Schmerzes, des Schreis, des Fleisches, des Nichts. Grenze zwischen Poesie Genie
und Wahnsinn.
Ja selbst für Müller war Artaud anstrengend. Man merkt das daran, daß die
Artaud_Passage bei Müller äußerst knapp ausfällt. Aber ich bin d’accord mit
Müller. Auch daß Artauds Schrei immer ein Schrei des Körpers sei, der Schrei
eines Geschändeten, der exemplarisch für alle Schändungen steht, die tagtäglich
unter der Folter der Sonne geschehen. Aber um sich darauf einzulassen, braucht
es schon eine ganz enorme Kraft.
Wie
überhaupt bist du zu Artaud gekommen?
Wie
bist du zum Theater gekommen?
Wie bist du zur Dramatik und zur
Literatur gekommen?
Oh Gott. Das ist natürlich eine lange Geschichte und wie vieles ein
Prozess, ein Fluss, in den man hineinsteigt, und von dem man sich treiben
lässt. Was Artaud betrifft geht dem
eine wirklich sagenhaft lange Beschäftigung voraus, die vermutlich nie aufhören
wird. Und diese Beschäftigung war zunächst eine Konfrontation als Zuschauer.
Ende der 80iger jahre West-Berlin Man
darf nicht vergessen, daß das OFFtheater eine Geschchte hat. Und was für eine
Geschichte. Es ist eine Geschichte, die untergründig wirkt. Die in ihrer
Vielfalt und in ihrem Einfluss unterschwellig wie ein Vulkan brodelt, der von
Zeit zu Zeit ausbricht und seine Lava ausspeit.
Erwähnen möchte ich:
>>> Das Theater Antonin Artaud geleitet von Susanne Husemann, Jean Marie Bovin
>>> Das Theater 100fleck von/mit Dieter Kölsch & sein Ziguri Ego Zoo in den 90igern ...“
>>>
Natürlich das ORPH.THEATER & zuletzt das unglaubliche RAMM/ZATA, wo
übrigens aufgrund einer Einladung des RAMM um Arthur Kuggelyn 1990 meine
1.Theaterarbeit des Brachialstückes KERKER , eine Henkersmahlzeit lief, eine
Essenz meines „stückes für apokalyptische theater TRAKT“.
Als ich 1996 dann selbst zum Artaud Kongress ins damals noch sehr
lebendige wichtige TACHELES eingeladen wurde, war das eine echte Ehre, auf
einem Kongress mit Dieter Kölsch aufzutreten.
9.
In der Ozeanischen Nacht, die 2008
zur UA kam, und die eher deine eigene Textur ist, auch wenn sie von anderen
DichterInnen wie Rilke, Sarréra, Rimbaud bereichert wurde, erschienen mir die
schrägen MiniMonologe
einer verirrten 100jährigen Prinzessin aus dem romantischen fragment
archangelsk/träume aus titan als sehr prägend.
...Monologe, die Edyta Jaworska mit einer unglaublichen Stimme
bewältigte, die wir zusammen erst erfinden mussten. Eine Urgewalt an Stimme,
die da in die Welt platzte. Fast unerträglich für den Zuschauer – aber ein
exaktes notwendiges Extrem.
Die
100jährige kam mir immer wie eine Art Kassandra vor, die...
Das ist sie auch. Eine große Weise und daher eine große Warnerin. Sie warnt
aber nicht nur vor Szenarien, die einen offensichtlichen Weltuntergang
beschleunigen, sondern sie warnt vor Menschenzüchtern.... Sie warnt vor Lügenpriestern in Zeitungen...
Sie warnt vor
den Eroberungen der Himmelsstürmer. Und im übrigen warnt sie auch vor dem Verlust der sinnlichen Lust.
Die
Ozeanische Nacht war für mich das exemplarische Beispiel einer mehrsprachig
poetischen Inszenierung, die man sicher als das bezeichnen kann, was man
neutheoretisch „postdramatisch“ nennt.
Ich denke, daß das auch schon in LA NOTTE der Fall war, wo italienisch
wie portugiesisch bereits einen hohen Sprachanteil hatten.
In der Ozeanischen Nacht war das durch den schwarzhäutigen Zé de Paiva
auch sichtbar und gewann dadurch an Exotik, die aber nicht allein zur Schau
gestellt wurde. Die Sichtbarkeit der Fremdheit deutete vielmehr auf eine
raummäßige Entrücktheit, auf eine Spielzone, die jedem sofort klar macht, daß
wir uns außerhalb des Realen befinden. In einem Märchen, in einem Traum, in
einer poetischen Welt, aus der die fremden Sprachen wie Musik zu uns
herüberklingen, die wir in ihren besten Momenten trotzdem verstehen, auch wenn
wir die Sprache inhaltlich nicht verstehen. Dafür waren und sind aber ebenso
von großer Bedeutung die Soundlandschaften von Alexander Christou und Anna
Mandel wie Georg Wahnfrieds karge Bühneneinrichtung und die düstere farbig wie
punktuelle Lichtästhetik.
Eigentlich
wird in der OZNA ein titanischer Traum gespielt, der sich in LA NOTTE schon
angekündigt. Die Brasilianerin Simone Donha machte das dort – wie ich finde -
auf ihre zart-sprechende Weise ganz wunderbar.
Ja,
Simone Donha ist geradezu prädestiniert für die SchlussWorte.
„In
der Ferne sieht man, wie der Dichter verschwindet. Man sieht wie er reitet und
reitet.
Und er
reitet noch immer. Auf der Suche nach seiner Passage zum Glück. Auf der Suche
nach
echten Frauen und Männern, weibisch und arbeitssam. Auf der Suche nach dem
Traum aus Titan.“
So
endet LA NOTTE mit einem kleinen pmw_Einschub textuell. Und in der OzNa kommt
er dann wieder, der reitende Dichter
Mit
dem Beginn der 1.Duiniser Elegie von Rilke...
Rilke auf deutsch natürlich, doch auch auf portugiesisch durch den vom
teatro officina Sao Paolo kommenden Darsteller/Tänzer Zé de Paiva.
„Wer wenn
ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen. Und gesetzt selbst,
es
nähme mich einer plötzlich ans Herz, ich verginge von seinem stärkeren Dasein.
Denn
das Schöne ist nichts als das Schrecklichen Anfang.“
In der
Ozeanischen Nacht ziemlich pathetisch vorgetragen...
Ja,
das würde ich heute auch sagen. Sehr sehr pathetisch und sehr sehr überzogen,
aber notwendig wie stimmig mit dem als Einlass präsentierten Sturm von Anna
Mandel, der im Grunde schon vorweg die ganze Brüchigkeit des Schönen ankündigt,
die wir in Form der Engelsinsel sehen, mit schönen Frauen und Männern, die sich
gegenseitig anschmachten und verachten.
In den letzten INVASORinszenierungen war - wenn auch nie wirklich nackt
–
doch stets sehr viel Fleisch zu sehen. Männern wie Frauen oft sehr
lange leichtbekleidet.
Wie steht INVASOR zur Nacktheit auf der Bühne?
M.E. war das in den 3 Inszenierungen inhärant auch notwendig, und stand
im Ensemble eigentlich auch nie zur Debatte. Das schwül heisse SommerGefühl in
LA NOTTE wie in der OzNa – übrigens im Winter in einer meist kalten tk gespielt
– hätten wir nicht in Wintermänteln transportieren können. Noch archaischer in
re.act.Artaud – wo mir Körper, die offensichtlich Schmerzen ertragen müssen ,
absolut notwendig erschienen.
Das Interessante ist m.E. ja nie die Nacktheit. Die pure Nacktheit auf
der Bühne ist langweilig. Aber das Geheimnis der Nacktheit,
also eine, die andeutungsweise vorhanden ist oder sich als mögliche
Nacktheit andeutet, ist auch ein Spiel
mit dem Begehren im Schauen -
also Erotik.
10.
Dann wäre da aber noch die
Frage... Aus- oder Anziehen
Wer
sich erst mal ausgezogen und nackt gezeigt hat, hat sein Potential verspielt.
Darf sich nicht mehr anziehen. Daher Umziehen.
Oder wie
in EGO.TRAUM.KRYPSIS.3. im BLACK nackt beginnen und dann anziehen.
Wo
liegen für dich die Grenzen?
Was
würde du nicht auf der Bühne zeigen wollen?
Schwer zu sagen. Schon alles real gezeigte, alles was den Anschein von
Realität, von Alltäglichkeit hat, würde ich ungern zeigen wollen. Also alles
was geheimnislos ist, alles, was kunstlos ist sowieso. Und kunstlos ist
natürlich auch der durchscheinende Slip unter einem Unterkleid. Der sichtbare
Slip zeigte in diesem Falle die Realität, und zerstörte das Geheimnis der
Nacktheit, die meist nicht wirklich erkennbar ist.
Natürlich auch „Kunstlose Sprache“ obwohl und das erstaunt mich - Autor Dramatiker – selbst, Sprache in INVASORinszenierungen mehr und mehr verschwindet. Sie wird trotzdem wichtig bleiben, nicht immer als Inhalt sondern als Grund.
"Wir
verlangen dem Publikum eine heroische Haltung ab!"
steht
auf www.INVASOR.org und meist auch in den Programmheften.
Kann
du diese Forderung bitte näher
erläutern!? Siehst du das heutige Theaterpublikum in einer potentiellen
Opferrolle, aus der du es befreien
möchtest? Fordert/Fördert INVASOR mehr geistige Aktivität des Publikums -
vielleicht eine gewisse Eigendynamik, ein Selbstbewusstsein des Publikums?
Ja. Nein. Ich hatte immer das Gefühl, das Publikum, das nie oder höchst
selten ins Theater geht, sich beim INVASOR sehr wohl fühlte, weil es da Dinge
zu sehen zu fühlen zu spüren zu hören gibt/gab, die es anderswo nicht gibt, was
Bilder Stimmungen Atmosphären betrifft. Das ist manchmal schon filmisch. In LA
NOTTE gab es ZuschauerInnen, die sich gefürchtet bzw. vor Schauer gegruselt
haben sollen.
Nein die Heroische Haltung, die wir dem
Publikum abverlangen, ist, sich auf diese Reise ans Ufer anderer fremder Stimmungen
und Atmosphären einzulassen. Und das hieß im Falle von LA NOTTE auch zu
ertragen, daß die ersten gefühlten 22 Minuten nahezu nichts geschah, dies aber
auf höchstem ästhetischen Niveau.
Es fällt auf, daß du dich den üblicherweise mitgelieferten
Untertitelungen verweigerst. Andererseits habe ich den Eindruck,
daß es dieser Untertitelungen gar nicht bedarf,
weil die meisten mehrsprachig Textpassagen gedoppelt sind.
Exakt. Im Idealfall bemerkt dies der Zuschauer aufgrund ansatzweise
ähnlicher Szenarien oder im ähnlichen gesprochenen Gestus. Oder durch den
Transport atmosphärischen Gefühls und bekommt ein Gespür dafür, daß er das, was
er gerade auf italienisch hört, entweder inhaltlich spürt oder auf deutsch
schon mal gehört hat. Wenn er das als Zuschauer einmal kapiert hat, muß er sich
um die fremden Sprachen, die er nicht versteht, gar nicht mehr sorgen, sondern
kann sie in Ihrer Fremdheit genießen. Er hat am Ende bestenfalls sogar das
Gefühl, auch die ihm fremden Sprachen inhaltlich verstanden zu haben, ohne
durch eine 1:1 Übersetzung belehrt worden zu sein.
Ich wollte das von Anfang nicht, auch deshalb nicht, weil man sonst zu
88% der Zeit auf die Unter- bzw. Übertitelung starrt.
Was
hat dich überhaupt gereizt, mehrsprachig zu inszenieren?
Zum einen bin ich natürlich nicht der erste und nicht der letzte. Dann
ist da aber diese meine Affinität zu anderen Sprachen, Poesien und Menschen aus
fernen Ländern, die in der Stadt Berlin, in der ich lebe, sehr präsent sind,
aber sehr selten hörbar in einer speziellen poetischen Kombination mit der
Poesie des Deutschen. Und die Chance, daß wir hier großartige DarstellerInnen
in ihrer Sprache hören können, ist doch ein wunderbares Geschenk, das man
eigentlich nur richtig auspacken bzw. einpacken muss.
Auch war ich selbst in der Villa dei Misteri–Inszenierung von Ivan
Stanev in den Sophiensälen und großen Theatern in Frankreich als Darsteller
beteiligt, wo ich neben großartigen italienischen, französischen, russischen
wie amerikanischen Kolleginnen nicht nur deutsch sondern auch französisch und
sogar altgriechisch sprach. Allerdings war die Inszenierung in ihren
nicht-deutschen Ausuferungen von Übertitelungen begleitet.
Ja, und was soll das überhaupt, diese ständige Verstehens-Wut. ...
es geht doch um das sinnliche Erfassen eines Textes... oder Textmaterials...
und dann als Zuschauer die sinnliche Gesamterfassung oder besser das Erleben
eines Raumes-Bildes- und ganz besonders in Hinblick auf die gesprochene Sprache,
ob nun deutsch, Französisch, Italienisch oder Brasilianisch, wo doch ganz
besonders das Brasiliansiche diesen mE außerordentlichen wundervollen Klang hat... Sprache ist Klang...Musik.
11.
Dir bekannte Kollegen fangen ja inzwischen
an, prahlerisch damit anzugeben, daß bei Ihnen nun auch italienisch gesprochen
würde.
Nur das allein reicht – aus meiner Sicht - natürlich nicht. Denn wenn
man als Regisseur die anderen Sprachen weder ansatzweise spricht noch ein Gespür
für die fremde Sprache hat, führt es mE sogar ins genaue Gegenteil. Es fehlt
einem die Möglichkeit, die Sprache zu kitzeln, sie an bestimmten Marken ihrer
Töne und Aussagen hochzuzwirbeln. Wenn man damit nicht umgehen kann, kann ein
fremde Sprache der Inszenierung schaden, weil sie wie ein Nichts nur
Unverständnis und damit distanzierte Fremdheit erzeugt.
Welche Stücke hast du zuletzt im Theater gesehen und welches hat dir
von der Inszenierung her
am
besten/oder gar nicht gefallen?
Ich denke eher an Inszenierungen, bei denen es mir kalt den Rücken
runterlief, übrigens ein Gefühl, das mir als Beweis für höchste Ästhetik gilt
und die es daher in meine TOP TEN geschafft haben. Leider sind die Stücke nicht
wie Filme wiedersehbar, das ist das Bedauerliche an Theater und das Schöne, die
Vergänglichkeit. Man sollte den Vorteil der Vergänglichkeit des Theaters nicht
unterschätzen.
Also!
Zum einen die Medea von Hans Henny Jahn aufgeführt vom Berliner
Walserensemble ca. 1988 im Theater Zerbrochene Fenster, mit einer damals unglaublichen Teresa Harder
in der Regie von Ulrich Simontowitz.
Das 2001 aufgeführte Medea.Material von Heiner Müller mit einer unglaublichen Antje Görner im ORPHtheater unter der Regie von Susanne Truckenbrodt. Und auch Susanne Truckenbrodts Inszenierung von Müllers Bildbeschreibung, im Schloss Bröllin 2003. Das Wunder eines Abends - unwiederholbar, mit Uwe Schmieder in der Hauptrolle.
Und zuletzt – relativ zeitnah – war da RESIDUA von Beckett, genial
inszeniert von Oliver Sturm 2006 in den Sophiensälen. Und leider leider dann
unglaublich unerträglich abscheulich belanglos vom gleichen Regisseur Sturm die
Inszenierung NICO in der Stückfassung von Werner Fritsch 2008 in den
Sophiensälen ... ein schmerzensgeldverdächtiges
NICHTS!
Wenn du dir für deine nächste Inszenierung
einen Ort in Berlin aussuchen könnten,
welchen würdest du wählen?
Es gibt zum Glück noch
einige außergewöhnliche Orte und Räume. Aber der Festsaal in den Sophiensälen
reizte mich schon sehr. Er ist in seiner historischen Kaputtheit und
Zeitlosigkeit fast ein idealer Spielort im Sinne der letzten 3
INVASORinszenierungen. Allerdings müssen die Umstände im Ganzen stimmen, der
Ort allein machts ja noch nicht.
Ein
gutes Schlusswort. Jedenfalls sind wir irgendwie am Ende unserer Zeit.
Wie spät ist es jetzt?
Sehr
sehr spät.
Und
wie weit ist es jetzt?
Sehr
sehr weit.
Okay.
Dann bedanken wir uns für das Gespräch in der Serie: DIE VERHÖRE DES INVASOR
mit
dem Autor/Dramatiker und Theatermacher paul m waschkau
Ich bedanke
mich auch.
Das
komplette NACHTFLUGprogramm sowie mehr Informationen über INVASOR oder paul m
waschkau
findet man auf www.INVASOR.org .
Die eingespielten Sounds stammen aus dem Werk
„Der
Schmerz ist überall“ von der Formation „Why
you?“ , die in der kompletten nächsten Stunde zu hören sein wird.
Damit
verabschiedet sich der NACHTFLUG INVASOR
mit
Anne Rechlin, Friederike Biebl
sowie paul m waschkau
Heraus
aus der ersten Stunde
hinein
in die zweite Sunde.
Eingeschlossen
in die Zeit
In den
Augenblick
In das
Pochen des Blutes
#
Zurück
nach oben
Zurück zu pmwaschkau
Zurück
zur INVASORstartseite