Mit glühender Geduld

saskian.willen über paul m waschkau

 

Nachwort von No.6 der Zeitschrift für Poesie & Visionen archangelsk

„aus der Wüste“  texte/poesien von pmw;  erschienen Berlin 1996

 

Er lebt noch. Er ist aber wieder auf Reisen. Unterwegs. Freiräume suchen. Visionen erspüren. Lebensmöglichkeiten erkunden. Fern allen Eises und fern allen Orgien der Rache rudert er der Morgenröte entgegen. Ganz sicher. Also hängt da wieder jenes Schild an der Tür. "Bin auf Montage/Beschaffe Rohstoff/Suche Material." Jenes für Waschkau so wichtige Zitat, mit der er die Bedingung einer Anarchie der Wörter charakterisiert. Natürlich spielt das Unterwegssein - gleich dem Ausharren auf einer Galeere, gleich der jahrhundertelangen Entzifferung der Geheimschrift, gleich dem Schmoren des Bratens - mehr denn das Reisen eine enorm wichtige Rolle für das Finden.

 

Wenn einer wie Waschkau über Jahre derart oft Lesungen aus eigenen Texten wie der anderer ihm verwandter Autoren gegeben, Theater und Hörspielkompositionen inszeniert hat und dann mehr denn ein Jahr nichts von ihm zu hören war, scheint aber obige Feststellung berechtigt und wichtig. Denn wer einmal einer seiner von fraktalen Gesängen durchsetzten Lesungen gelauscht hat, weiß, daß sie von einer ihm geheimen sehr lebendigen Dramatik durchsetzt sind. Es geht aber darum, die Wege der Begierde nicht hinter sich verwuchern zu lassen und das lange wie geduldige und zuweilen auch bequeme Schweigen nicht als überwiegende Tätigkeit anzuerkennen. Seit langem arbeitet er an einem umfangreichen romantischen Fragment unter dem Titel  "the alien of hölderlin/träume aus titan", in dem auch viele der in archangelsk gedruckten Texte eine wichtige Position einnehmen. Gespannt bin ich auf seine "Tage als Kanzler."

 

Es gab jedoch andere Zeiten. "Einst durchpulste ein Tier sein menschliches Wesen..."

Als pmw von 1988-91 im Alarm eines Aufruhrs wesentlicher Mitherausgeber der derzeit in Berlin entscheidenden literar/ philosophischen Zeitschrift MINERVA war und große Gespräche mit Paul Virilio, Jean Francois Lyotard, Dietmar Kamper, Christian Geissler u.a. führte, sind den LeserInnen die in ihr erschienenen literarischen Versuche unterschwellig wohl wie Betäubungsmittel vorgekommen. Erst während seiner Süd- und Mittelamerikareisen hat er sich ins Herzklopfen der einsamen Nächte begeben, um dem Gesang der Sirenen zu lauschen und den Hauch des Eventuellen zu atmen.

 

Schon mit seinem poetischen Projekt "Das Geheimnis des Zeitmaßes" , das in Mexiko entstand, versuchte Waschkau jenen alten Faden von Poesie wiederaufzunehmen, nachdem der Dichter zum Dieb des Feuers und der Nacht werde, der Erfindungen spürbar, befühlbar und hörbar machen möge. Für Menschen wie für Tiere. Vielleicht tauchen darum dermaßen viele Tiere in seinen neueren Texten auf. Maultiere und Esel, Spinnen, Adler, Frösche, Schlangen, Giraffen, Schakale, Haie, Geier, Kraken, Salamander, Käfer und Tauben, sogar die Küchenschabe oder Drachen erscheinen in einer Vielzahl von Gemälden, die aufs erste Lesen sowohl vom Geheimnis,  - Das Rätsel der 7 Schlangen -, von der Sehnsucht nach dem Kuss einer jungen Giraffin aus dem Zoo von Santiago oder der lächerlichen Position des Menschen, - Das Gespött der Frösche über den Reflektor des Menschen -, durchsetzt sind. Aber auch der vom Degen durchstöcherte blutende Stier, der erschöpfte Wal, das gestürzte Pferd sind eindringliche Bilder.

 

Erstaunlich ist, daß es von Waschkau noch kein Buch gibt. Natürlich Publikationen in Zeitschriften, darunter auch sehr renommierte innerhalb des Betriebssystems Literatur: L&K, Wespennest, Litfass. Texte in Anthologien des Kellner und Konkursbuchverlages usf. Sondereditionen dreier Texte für Theater, Spuren seltener Dramatik, wie er sie selbst bezeichnet, kleine feine Ausgaben in einfacher Broschur. Aber eben kein Buch. Zwar soll es einen Vertrag mit dem aus der literarischen Szene Berlins längst verschwundenen Kleinverleger Maas gegeben haben, der jedoch vom kleinen Verleger nicht eingehalten wurde. Schicksalhafter für einen Autor, der auf dem dünnen Faden seiner poetischen Spuren wahrscheinlich immer am Rande des Betriebssystems balancieren wird, ist jedoch folgender Vorfall zu nennen.

 

Nachdem pmw schon im Herbst 1990 zusammen mit anderen MINERVAautoren zu Lesung und Vortrag ins damalige Leningrad eingeladen wird, wo u.a. in szenischer Lesung auch sein erster im Frühjahr 1990 in Buenos Aires/Argentinien geschriebene Theatertext "RAdial Elektra 2.2.-Die Anatomie einer Braut" im berühmten Leningrader Off-theater Da/Net vorgestellt wird, soll der Text in russischer Übersetzung im Herbst 1991 in Leningrad erscheinen. Dann aber werden die bereits fertigen Druckplatten während des 3tägigen Miniputsches im August 1991 von der sowjetischen Armee zerstört. Man kann fragen: Lag es an der Stalinpassage? An den eindeutigen Bemerkungen zu Katyn? Oder schien eine mögliche Rückkehr Honeggers Anlaß der Zerstörung gewesen zu sein? Eine Antwort darauf wird es nie geben. Am wahrscheinlichsten ist, daß es nur ein Zufall im Störfall einer unkontrollierten Zerstörungswut war.

 

Riskieren wir Sprünge, Zeitverdichtungen, Vivisektionen. Das MINERVAkapitel ist längst abgeschlossen. Neben zahlreichen Lesungen zwischen Brotfabrik und Literaturhaus Berlin, Hamburg und Wien sind derweil zwei seiner Stücke an kleinen Offtheatern zur URaufführung gelangt; das grandiose von Ulrich Simontowitz geleitete WALSERensemble meldet mehrmals Interesse an seinen Stücken an, muß aber trotz einer unglaublich überwältigenden Medea-Jahnn-Inszenierung ebenfalls schließen. Die Regisseurin Bachmann wiederum versucht eine kleine filmische Annäherung an den Dichter unter dem programmatischen Titel: "Entschärfung eines untauglichen Körpers herkömmlicher Mach-Art". Ein Film, in dem es eindeutig ums Verschwinden geht.

 

Wiederum liegen mehrmonatige Reisen und Aufenthalte zwischen allem Schreiben. - Mexiko.Patagonia.Montevideo.Belize -. Als Waschkau auf Scardanelli trifft und mit ihm für einige Zeit das von Scardanelli begründete Kabinett "Die Kahle Sängerin" fortführt. Jene poetische Schwarzbar für Süchtige abseitiger Literatur, passionierte Poeten, Liebhaber des visionären Vodkas. Mehrere gemeinsame exzessive Textsezierungen von Antonin Artaud, Lautréamont, Friedrich Nietzsche finden dort "unter einem Gefühl scharfen Brennens in den Gliedern" statt. Als dann Ende 94 nach 5jähriger Öffnung und an die 300 Lesungen auch das Kabinett geschlossen wird, ist "archangelsk" schon eröffnet, entsprungen im von pmw gegründeten atelier archangelsk, in dem andere Poesiegärten angelegt werden sollten: "um zu trinken, hielten die karawanen an vergifteten brunnen" hieß der erste von Waschkau & Scardanelli bestrittene Abend, der vielleicht viel eher zum Entstehen von archangelsk beitrug als andere Einflüsse.

 

Wie gesagt, er ist wieder auf Reisen. Er war vielleicht immer auf Reisen. Das Reisen als Bedingung seines Schreibens. Denn was hier in "archangelsk 6" versammelt ist, kann nicht mehr als ein textuelles Telegramm aus der letzten Zeit sein, ein Fragment aus der Wüste, eine Schmuggelware aus der Kolonie der sterbenden Wörter. Möglicherweise entpuppt es sich als Beet von poetischen - auch sehr sentimentalen wie kraftvoll düsteren - Texten, das von der Frage durchwuchert ist, "wieso es den Ingenieuren bis heute unmöglich bleibt, die Hamletmaschine zu reparieren."